„Wildpferde sind wie eine Schulklasse!“

Der Weg ins Merfelder Bruch ist wie ein Ausflug in ein verwunschenes Paradies, das man sich in diesen Zeiten nur herbeisehnen kann.

Es ist trüb und regnerisch, als am Freitagvormittag, dem 30. Oktober, die Klasse 5c mit ihren Klassenlehrerinnen gegen 10 Uhr zur Führung durch die Dülmener Wildpferdebahn aufbricht.

Der Weg mit dem Bus führt uns durch einen traumhaften Wald mit Kiefern und Eichen sowie farnbedeckten Waldböden, die im Schimmer des vormittäglichen Nebels nasskalt glänzen.

Friederike Rövekamp, die als Försterin die Wildpferde im Merfelder Bruch betreut, begrüßt uns schon von weitem freundlich winkend in grüner Forstbekleidung. Sie gewährt dem Bus über eine Schranke Eintritt in das atemberaubende Naturgebiet: Vor uns öffnet sich eine Lichtung mit geschätzt Hunderten von Pferden, die sich über Busverkehr, staunende Blicke und offene Münder offenbar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Sie sind es gewohnt.

„Sind Sie die Frau von Robin Hood?“ Frau Rövekamp schwingt sich auf den Holzzaun und dreht lachend ihren außergewöhnlichen Försterhut mit Federschmuck, während die Klasse 5c sie mit Fragen nur so überhäuft. „Wie lange sind Sie schon Försterin?“, „Welche Aufgaben hat eine Försterin?“, „Wie viele Pferde leben hier?“. Von der Fachfrau erfahren wir, dass sie weder Hirsch noch Pferd die Hufe auskratzen muss, aber als Försterin den Tieren Hilfe zur Selbsthilfe bietet. Mit Witz und Eifer erklärt sie uns, dass die Natur keine Hilfe von den Menschen braucht. „Alle Wildtiere sind eher faul, sie wollen keinen Sport machen. Warum nicht?“ Frau Rövekamp weiß genau, was im Wildpferd vorgeht und wie sie das Interesse der jungen Menschen wecken kann. Für die Tiere gebe es keine natürlichen Feinde, sie müssten sich nicht anstrengen, um über einen Zaun zu springen, weil sie zum einen Angst haben, zum anderen keine Notwendigkeit darin sähen. „Sie lernen aber genauso wie wir!“ Großes Erstaunen in der 5c.

Gemeinsam mit der Försterin dürfen wir das Feld begehen, auf dem die Tiere sich in einem Pulk versammelt haben. Wir beobachten, dass sie in kleinen Gruppen hintereinander her trotten – man könnte meinen, man sei auf dem Schulhof. Auch wenn Pferde nur bis zehn zählen könnten und das Verhalten von Stute und Hengst nicht zu hundert Prozent im menschlichen Verhalten wiederzufinden sei (zum Glück!), vermittelt Frau Rövekamp uns anschaulich einige Gemeinsamkeiten zwischen einer „Menschenklasse“ in der Schule und einer „Pferdeklasse“. „Mensch und Tier lernen gleichermaßen, brauchen die Gemeinschaft, um zu überleben.“, erklärt uns die Försterin. Allerdings gebe es unter den Wildpferden keine Schulleitung: „Einzelne Stuten leiten verschiedene ‚Klassensysteme‘ (eine Gruppe aus höchstens zehn Tieren), sie lehren und erziehen, der Hengst ist das Herdentier, es beschützt die Tiere, kann aber nicht führen und leiten.“

Dass die Menschen vor Hunderten von Jahren offenbar die Wildtiere mit uneingeschränktem Eifer gejagt und verzehrt haben, erschreckt uns beim Anblick dieser schönen friedlichen Tiere, die wir am liebsten im Bus ins heimische Wohnzimmer tragen möchten. Staunend schauen wir zu, wie sich ein Tier im Sand wälzt und offenbar kein Wasser braucht, um sich zu waschen. Ein junges Fohlen trottet hinter der Mama her, ein zweites Pferd kaut fürsorglich mit den Zähnen in der Mähne eines Klassenkameraden herum und hilft bei der Körperpflege. Ein drittes schaut entspannt in den grauen Himmel und gähnt genüsslich mit weit aufgerissenem Maul.

Wildpferd müsste man sein.